
An der Entwicklung der „Ideen von 1914“ beteiligt sich auch Bruno Bauch. Bruno Bauch wurde 1911 als Professor für Philosophie an die Universität Jena berufen und lehrte hier bis zu seinem Tode im Jahr 1942. 1916 erscheint in den Kant-Studien sein Artikel „Vom Begriff der Nation. Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie“. Er geht auf eine für die „staatswissenschaftliche Gesellschaft“ in Jena gehaltene Rede zurück.
Die Nation versteht Bauch hier einerseits als kulturelle Einheit. Diese kulturelle Einheit führt er auf eine gemeinsame Praxis der Realisierung moralischer, epistemischer und ästhetischer Werte zurück.
Andererseits aber geht er von einer vorgegebenen natürliche Grundlage dieser kulturellen Praxis aus. Diese natürliche Grundlage versteht er als Gemeinschaft der Abstammung. Sie ermöglicht ein intuitives gemeinsames Verstehen und Erkennen. „Ohne daß ich selber auch nur ein Wort zu reden brauche, bieten mir im Auslande die Zeitungsausträger Deutsche Zeitungen in Deutscher Sprache an und höre ich sagen: ‚Das ist ein Deutscher.‘“
Auf dieser Grundlage unterstellt er auch Grenzen des Verstehens und der Kultur, die sich aus der „natürlichen Abstammungsgemeinschaft“ ergeben. „Allein, wo wir nicht sagen können: ‚Das ist Blut von unserem Blute,‘ da findet einmal sicher doch auch unser Verständnis eine Grenze.“ Auf diese Weise führt er die „kulturelle Sonderbestimmung eines jeden Volkes“ auf eine „Gemeinschaft des Blutes“ zurück. So vollzieht er eine entscheidende Radikalisierung der Ideen von 1914. Die zu schaffende nationale Gemeinschaft wird jetzt völkisch-exklusiv verstanden. Dieses exklusive Gemeinschaftskonzept wird zudem auch zu einem Beurteilungskriterium auf dem Gebiet der Philosophie.
Bruno Bauch entwickelt seine Bestimmung der Nation insbesondere in Abgrenzung von „deutschem und jüdischem Geist“, wie Hans Vaihinger, der damalige Geschäftsführer der Kant-Gesellschaft und einstige Förderer Bauchs, kritisch bemerkt hat. So schreibt er an Bruno Bauch, dieser habe „in diesem Vortrag die Juden zweimal vorübergehend erwähnt, aber was soll man sich denn sonst unter ‚Gastvölkern‘ vorstellen als Juden und höchstens noch Zigeuner. Die letzteren kommen nun kaum in Betracht, also kann man in Ihrem Vortrag überall statt des Ausdrucks ‚Gastvölker‘ einfach den Ausdruck ‚Juden‘ setzen.“
Damit ist der Aufsatz auch Ausdruck eines Umschwungs des innenpolitischen Klimas in Deutschland. Angesichts der zunehmend schlechteren Versorgungslage und dem Ausbleiben eines erhofften schnellen Sieges kommt es zu einem Anwachsen antisemitischer Ressentiments. Nationalistische Verbände agitieren gegen die Einwanderung von Jüdinnen und Juden aus den besetzten Gebieten des Ostens. Die sogenannte „Judenzählung“, eine Erhebung über die Beteiligung von Juden am Militärdienst, unterstellt implizit „Drückebergerei“ und eine gemeinschaftsschädigenden Haltung. Auch in anderen angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen Artikel, die Juden einen zersetzenden Rationalismus und die Auflösung aller natürlichen Bindungen zuschreiben.
„Muss es da nicht scheinen, als ob in den höchsten Gefahren der Politik die Deutschen doch immer an die Juden denken, ob sie nur ja nicht zu viel verdienen, oder sich drücken, oder (…) in zu geringer Anzahl fallen?“
Hermann Cohen an Paul Natorp
Auf diese politische Dimension hatte insbesondere Hermann Cohen, jüdisches Mitglied der Kant-Gesellschaft und Begründer des „Marburger Neukantianismus“ hingewiesen. Ernst Cassirer, Assistent Cohens, fragt in seiner Reaktion auf Bruno Bauch: „Wohin geraten wir, wenn in dem Streit um die Gültigkeit eines Satzes nicht mehr sein reiner Inhalt massgebend ist, wenn eine Entscheidung nicht mehr von seinen logischen Voraussetzungen und Gründen, sondern der Persönlichkeit seines Urhebers hergenommen werden soll?“
Auch Hans Vaihinger kritisierte die antisemitische Ausrichtung von Bauchs Aufsatz. Er war der Auffassung, der Aufsatz gehöre nicht in die „Philosophie im engeren Sinne“. So schreibt er in einem Brief an den Direktor der Kant-Gesellschaft, Bauch stelle den jüdischen Mitgliedern „doch schließlich den Stuhl vor die Türe der Wissenschaft, so, dass die Juden sich vom deutschen und wissenschaftlichen Leben und von der deutschen Kultur als ausgeschlossen betrachten müssen.“
Der Aufsatz Bauchs hatte seinerzeit für einiges Aufsehen gesorgt. Nach Protesten und Rücktrittsdrohungen innerhalb der Kant-Gesellschaft und verschiedenen gescheiterten Vermittlungsversuchen trat Bauch von der Redaktion der Kant-Studien zurück. Dieser Rücktritt war jedoch kein Rückzug. Bauch veröffentlichte in der alldeutschen Zeitschrift „Der Panther“ eine Selbstrechtfertigung seines Vorgehens. Die Reaktionen der jüdischen Mitglieder der Kant-Gesellschaft greift er hier als bevormundend an. Zudem stilisiert er sich als Kämpfer gegen Meinungsverbote. Er könne „eine Art jüdischer Oberzensurbehörde nicht anerkennen.“
Diese Einlassungen Bauchs sind nicht ohne Wirkungen geblieben. Noch Jahre später sollte man sich an sie erinnern. So bezieht sich Erich Jaensch, Nachfolger Hermann Cohens in Marburg und überzeugter Nationalsozialist, nach den Pogromen vom 9. November 1938 positiv auf Bauch als Vorkämpfer gegen den jüdischen Einfluss in der Wissenschaft.
Literatur
Bruno Bauch, Vom Begriff der Nation. Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie, Berlin 1916a.
Bruno Bauch, Brief, in: ders., Der Panther. Deutsche Monatsschrift für Politik und Volkstum, Jg. 4, H6, 1916b.
Bruno Bauch, Mein Rücktritt von den Kant-Studien. Eine Antwort auf viele Fragen, in: Ernst Cassirer. Nachgelassene Manuskripte und Texte. Band 9. Zu Philosophie und Politik, Hamburg 2008.
Ernst Cassirer, Zum Begriff der Nation. Eine Erwiderung auf den Aufsatz von Bruno Bauch, in: ders., Nachgelassene Manuskripte und Texte. Band 9. Zu Philosophie und Politik, Hamburg 2008.
Hermann Cohen, Brief an Paul Natorp vom 6.11.1916, in: Holzhey, Helmut, Cohen und Natorp. Der Marburger Neukantianismus in Quellen. Band 2, Basel/Stuttgart 1986.
Ulrich Sieg, Geist und Gewalt: Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2013.
Bildnachweis
- Titel: Bruno Bauch, vor 1920
- Autor: unbekannt
- Quelle: http://phaidon.philo.at/asp/bbauch.htm
- CC-Lizenz: https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Bauch#/media/Datei:Bruno_Bauch.png
- QS:P,+1920–00-00T00:00:00Z/7,P1326,+1920–00-00T00:00:00Z/9