
Den 75. Geburtstag von Elisabeth Förster-Nietzsche am 10. Juli 1921 nimmt Bruno Bauch zum Anlass, in der Philosophischen Fakultät die Verleihung der Ehrendoktorwürde zu beantragen – mit Erfolg. In der Begründung der Kommission, der auch Max Wundt angehörte, werden ihre Verdienste um den Nachlass Nietzsche, die Bewahrung und Vermittlung seiner Schriften hervorgehoben. Die Ehrung erfolgte am 18. Juli 1921 in der Jenaer Stadtkirche und hat Ereignischarakter: Elisabeth Förster-Nietzsche war die erste Frau, die an der Universität Jena eine solche Ehrung erhielt. Gut eine Woche zuvor wurde zur Feier des Geburtstages ein Festkolloquium in der Villa Silberblick abgehalten, und auch hier ist Bauch – neben Thomas Mann und dem Förster-Nietzsche freundschaftlich eng verbundenen Rudolf Eucken – als Redner vertreten. In dieser Rolle arbeitet er an einer ‚deutschen’ Lesart Nietzsches, ganz im Sinne der zu Pfingsten 1917 in der Villa Silberblick gegründeten Deutschen Philosophischen Gesellschaft, der es, ihrer Satzung zufolge, um die „Pflege, Vertiefung und Wahrung deutscher Eigenart auf dem Gebiete der Philosophie“ zu tun ist. Aus dem Kreis der Referenten ist es Bruno Bauch, dessen Beitrag „Nietzsche und das aristokratische Ideal“ in seiner wertphilosophischen Ausrichtung deutlich nationalistische, in den hierarchischen Ordnungsmustern, die er entwickelt, völkische Züge trägt.
In seinem Festbeitrag unternimmt es Bauch, Nietzsche als Vertreter der von ihm selbst vertretenen Wertphilosophie zu rekrutieren, der er seit 1916, seit seinem Vortrag „Vom Begriff der Nation“ in der Jenaer Staatswissenschaftlichen Gesellschaft, eine immer deutlichere völkisch-exklusive Ausrichtung gibt. Der Titel seines Förster-Nietzsche zu Ehren gehaltenen Vortrags hätte auch lauten können: „Philosophie als Antidemokratie“. Denn nach Bauchs Auffassung – und zu deren Unterstützung ruft er neben Nietzsche auch Platon und Kant als Zeugen auf – waren „alle großen Philosophen aller Zeiten antidemokratisch“, dies folge „analytisch aus dem Begriff der Größe“, denn es sei der große Philosoph „immer ein Genie“. Die enge Verknüpfung von Philosophie und Persönlichkeit, Persönlichkeit und Sozialität ist indes nicht neu, Bauch knüpft damit an Überlegungen an, die er bereits in seiner Dissertation bei Heinrich Rickert, „Glückseligkeit und Persönlichkeit in der kritischen Ethik“ (1901), begonnen hatte zu entwickeln. Leitend war auch hier das zweifache Anliegen, den Begriff der Persönlichkeit philosophisch aufzuwerten und zwar so, dass zugleich dessen überindividuelle, soziale Bedeutung kenntlich werde. Leitend ist aber daneben das Bestreben, die Persönlichkeit von der Einmaligkeit jedes Individuums abzuheben, denn bloße Individualität stellt aus der Perspektive Bauchs ebenso wenig wie bloße Verschiedenheit einen tragfähigen Wertgrund dar, im Gegenteil: Ohne eine wertorientierte Hierarchisierung drohe, so führt er mit Nietzsche aus, „Gleichmacherei“, „Herdentiermoral“ und insgesamt eine allgemeine „Vermittelmäßigung“. Nietzsche richtig zu verstehen bedeute hingegen die Unterscheidung zwischen „Natur“ und „Leben“, zwischen Sein und Sollen und das heißt für Bauch auch: zwischen Biologie und Philosophie zu verstehen. Denn aus dem bloßen Sein, aus der Natur, lassen sich keinerlei Werbestimmungen ableiten, diese müssten vielmehr wertphilosophisch aufgewiesen werden.

1942 wird Bauch sich auf der Grundlage dieses Argumentationsmusters zur Eugenik äußern und gleichsam deren wertphilosophische Grundlegung verfassen. Rund 20 Jahre zuvor, in der Villa Silberblick, formuliert er mit Nietzsche die Wertlosigkeit des „bloßen Lebens“, der er das Prinzip der Leistung gegenüberstellt. Das einzelne Leben zeichne sich dadurch aus, Medium der Wertdarstellung und ‑verwirklichung zu sein. Und die Wertverwirklichung wird zum Maß der Differenzierung und Hierarchisierung zwischen Individuen: die „Führerrolle für die menschliche Gemeinschaft“ sei demjenigen zuzuerkennen, der den Werten in seinem Leben die „kraftvollste Darstellung“ zu geben vermag. Die „Absonderung“ eines „Führers“ habe indes die soziale, kulturelle und nationale Bedeutung, das „Ganze der menschlichen Gesellschaft“ in Richtung einer „Erhöhung des Typus Mensch“ zu entwickeln. Es ist leicht zu sehen, dass es von der so entwickelten wertphilosophischen Rangordnung nach „Wertverschiedenheit von Mensch zu Mensch“ nur wenige Schritte sind, diese Ordnung auszudeuten und zu radikalisieren, dass nicht mehr jede und jeder Einzelne darin zumindest einen, „und sei es auch im bescheidensten Umfange“, wertbedeutenden Platz zuerkannt wird – und diese Form radikalster Exklusion als Verwirklichung der Sozialität der Werte vorzustellen. In der Villa Silberblick beschließt Bauch seinen Vortrag mit der Darstellung Nietzsches als Vertreter und Vordenker des „Rassegedankens“ – und zwar, und darauf ist der Akzent zu setzen, nicht auf biologischer, sondern philosophischer Grundlage. Prominent, am Ende seines Beitrages platziert, führt Bauch aus, nur dem Klang nach habe Nietzsche in einem biologischen Sinne Entwicklung als Erbschaft verstanden: dessen Rede vom „Hinaufpflanzen“, das er von der „Fortpflanzung“ absetzt, zeige an, dass die Welt der Werte nicht mit jener der Wirklichkeit zusammenfalle, sondern vielmehr kraft des Tuns aus letzterer erst zu entwickeln sei. Bauchs Beitrag hätte auch heißen können: ‚Nietzsche als Philosoph des rassischen Gedankens.’
Literatur
Bruno Bauch, Nietzsche und das aristokratische Ideal, in: Max Oehler, Den Manen Friedrich Nietzsches. Weimarer Weihgeschenke zum 75. Geburtstag der Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, München 1921.
Bildnachweis
Deckblatt, Hintergrundbild Anhang und Bild 1
- Titel: Bruno Bauch, vor 1920
- Autor: unbekannt
- Quelle: http://phaidon.philo.at/asp/bbauch.htm
- bearbeitet von SB
Bild 2
- Titel: Elisabeth Forster-Nietzsche, 1910
- Autor: Louis Held
- Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Elisabeth_F%C3%B6rster-Nietzsche,_1910.tif