
Zugleich sind die Nachkriegsjahre eine Phase struktureller Umbrüche an den Universitäten. Unmittelbar nach Kriegsbeginn und vor allem wieder in der zweiten Hälfte der 20er Jahre kommt es zu einem enormen Anstieg der Studierendenzahlen. Über 40 Prozent von ihnen sind sogenannte Werksstudenten, die sich ihr Studium durch einen Nebenerwerb finanzieren müssen. Die Universität sieht angesichts ihrer eigenen klammen Finanzsituation kaum Möglichkeiten, diese Studierenden zu unterstützen. Dazu kommt in Jena eine wachsende Wohnungsknappheit. Auch die Lage vieler Privatdozenten ist prekär. Sie sind auf wechselnde Vorlesungsgelder oder geringe Stipendien angewiesen.
Auch neue Gruppen besuchen die Universität: Schon während des Krieges hatte sich der Anteil der Frauen an der Studierendenschaft deutlich erhöht: im WS 1917/18 erreicht er mit 42 Prozent seinen Höhepunkt. Bis zum Wintersemester 1923/24 steigt auch der Anteil ausländischer Studierender auf 22,2 Prozent.
Parallel dazu kommt es zu einer Differenzierung der Fächerlandschaft. 1923 wird die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät gegründet, 1924 die Naturwissenschaftliche Fakultät.
Die wachsende Zahl von Fakultäten und Instituten steht dabei in Konkurrenz um die knappen Landesmittel. Insbesondere während der Inflation und der zweiten Hafte der 20er Jahre bleiben die Landeszuschüsse hinter dem wachsenden Finanzbedarf der Universität zurück. Parallel dazu kommt es zu einem Ausbau des Drittmittelwesens. 1920 wird die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft“, die spätere Deutsche Forschungsgemeinschaft, gebildet. 1921 gründet sich die „Gesellschaft der Freunde der Landesuniversität Jena“. Die „Zeiss-Stiftung“ gehört hier zu den wichtigsten Geldgebern. Unter anderem fördert sie eine Professur für Wirtschaftsrecht.
Die alten Bildungseliten deuten diese Entwicklungen häufig als Krise der Universität und der Wissenschaft. So sieht Eucken in seinen „Lebenserinnerungen“ vor allem zwei Gefahren: zum einen den Verlust der Einheit der Wissenschaft durch die Aufspaltung in verschiedene Fächer und zum anderen ein problematisches Gleichheitsversprechen, das den natürlichen Rangunterschieden nicht gerecht wird und das Bildungsniveau gefährdet. So wehren sich später insbesondere die Vertreter der Philosophie gegen die Etablierung einer von der philosophischen Fakultät unabhängigen pädagogischen Abteilung und die Ausbildung von Volksschullehrern an den Universitäten.

Bei rechtsorientierten und völkischen Dozenten und Studierenden bestärkt ein solches Krisenverständnis Abgrenzungskämpfe, die durchaus mit rabiaten Mitteln ausgefochten werden: So ruft der Asta während der Ruhrbesetzung durch die französische Armee 1923 dazu auf, französische und belgische Studierende von Lehrveranstaltungen auszuschließen. Dozenten sollen mit ihren Vorlesungen nicht beginnen, bis diese den Raum verlassen haben. Zudem setzt er sich dafür ein, die Mitgliedschaft in der „Deutschen Studentenschaft“ von völkischen Kriterien abhängig zu machen. Die medizinische Fakultät beschließt 1924, die ersten vier Bankreihen „arischen“ Studierenden vorzubehalten und wiederholt kommt es zu Angriffen auf ausländische Besucher*innen durch Korporationsstudenten.
Literatur
Rudolf Eucken, Lebenserinnerungen. Ein Stück deutschen Lebens, Leipzig 1922.
Fließ, Die politische Entwicklung der Jenaer Studentenschaft vom November 1918 bis zum Januar 1933.
Walter Grüner, die Universität Jena während des Weltkrieges und der Revolution bis zum Sommer 1920. Ein Beitrag zur allgemeinen Geschichte der Universität, Jena 1934.
Die Deutsche Studentenschaft (Hrsg.), Die deutsche Studentenschaft in ihrem Werden, Wollen und Wirken, Tetschen 1928.
Bildnachweis
Hintergrundbild Anhang
- Bild: Universitätshauptgebäude
- Quelle: https://www4.uni-jena.de/Kontakt_Anreise.html
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Bild:
- Titel: Jena Burgkeller um 1900
- Autor: unbekannt
- Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jena_Burgkeller_1900.jpg
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