
Die Ambivalenzen im Umgang mit den neuen NS-Machthabern zeigen sich auch an der Universität Jena. Die Gleichschaltungspolitik bedeutet für viele Ordinarien einen Machtverlust. Es kommt zu Einmischung von Partei und Gauleitung in Berufungsverfahren und andere universitäre Angelegenheiten. Zudem greifen die NS-Hochschulreformen in etablierte Privilegien ein. Am 6. November 1933 erlässt Volksbildungsminister Wächtler eine Verordnung, die das „Führerprinzip“ an der Hochschule durchsetzen soll. Rektor und Dekane werden demnach als „Führer“ von oben ernannt. Dem Senat kommt nur noch eine beratende Funktion ohne Abstimmungsrecht zu.
Mit der „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“, dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ und später den „Nürnberger Gesetzen“ werden deutschlandweit etwa ein Drittel der habilitierten Philosophen entlassen. Bis 1935 verlieren 22 Philosophen ihre Lehrstühle.
In Jena werden eine Vielzahl von Professoren und Universitätsangestellten entlassen, u.a.: Mathilde Vaerting, Julius Schaxel, Berthold Josephy, Leo Brauner, Hans Simmel, Theodor Meyer-Steineg, Karl Korsch, Paul Hermberg, Wilhelm Peters und Anna Siemsen.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Inhaftierung und Entlassung des Wundt-Nachfolgers Hans Leisegang. In seinem früheren Wohnort in Makranstädt war er der Vorsitzende der Ortsgruppe der „Deutschnationalen Volkspartei“ DNVP und gründete auch eine Ortsgruppe des „Stahlhelm“. Als Mitglied des Stahlhelms beteiligt er sich am 7. August 1934 auf dem Jenaer Marktplatz an einer Trauerkundgebung für den am 2. August verstorbenen Hindenburg. Während der Übertragung der Hitlerrede soll Leisegang halblaut gefragt haben, wie es sein könne, dass ein Gefreiter die Grabrede auf einen Generalfeldmarschall halte. Als sein Nebenmann davon Meldung macht, wird Leisegang wegen „Heimtücke“ angeklagt und zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Zudem wird er aus dem Staatsdienst entlassen.
Allerdings nehmen die verbleibenden Ordinarien die Entlassung ihrer KollegInnen widerspruchslos hin. Für die Wahrung eigener Vorteile sind sie zu Anpassung und Kooperation bereit. Viele NachwuchswissenschaftlerInnen erhoffen sich zudem eigene Aufstiegschancen. Darüber hinaus beteiligen sich nicht wenige aktiv an der Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten. So setzt Wächtler schon im Oktober 1932 den Philosophen Carl August Emge als Universitätskurator ein. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Staatsaufsicht an der Universität zu stärken.
Auch zeigt sich, welche Kräfteverhältnisse innerhalb der Universität schon vor 1933 bestanden. Seit 1930 stellte der NSDStB den Asta-Vorsitz und bei den Asta-Wahlen im Wintersemester 1931/32 hatte die gemeinsame Liste von NSDStB und Stahlhelm über zwei Drittel aller Stimmen auf sich vereinen können.

Als im April 1933 das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ in Kraft tritt, das den Anteil jüdischer Studierender auf 1.5 Prozent beschränkt und marxistische sowie pazifistische Studierende ausschließt, hat das in Jena kaum Konsequenzen. Schon im Wintersemester 1932/33 betrug der Anteil jüdischer Studierender nur 0.22 Prozent. Ein Ausschuss, der für den Ausschluss marxistischer oder antinationaler Studierender gebildet wird, kann nicht tätig werden. Solche Studierenden sind an der Universität nicht zu finden.
Literatur
Hans-Joachim Dahms, Philosophie. In: Frank-Rutger Hausmann (Hrsg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933–1945. München 2002, S. 193–228.
Hans-Joachim Dahms, Jenaer Philosophen in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und der der Folgezeit bis 1950, in: Uwe Hoßfeld, Jürgen John, Oliver Lemuth und Rüdiger Stutz (Hrsg.) „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 747.
Bildnachweis
Bild
- Titel: Hans Leisegang
- Quelle: https://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=593
Hintergrundbild Anhang
- Bild: Universitätshauptgebäude
- Quelle: https://www4.uni-jena.de/Kontakt_Anreise.html
- bearbeitet von SB