Die Mehrheit der Ordinarien ist konservativ und monarchietreu eingestellt. Viele von ihnen begrüßen zwar den Untergang der Weimarer Republik. Gleichwohl aber unterstützen vor 1933 nur wenige offen den NS. Allerdings unterzeichnen Wundt, Bauch und Emge Wahlaufrufe für die NSDAP.

Nach 1933 wurde von den neuen Machthabern gefordert, die wissenschaftliche Forschung am Weltbild des NS auszurichten. Dieses war jedoch keineswegs klar definiert. Die Schriften Rosenbergs und Hitlers enthielten zwar einige allgemeine Elemente, etwa die ethnische Festlegung des Individuums, die Vorstellung einer Hierarchie von „Rassen“ und eines unvermeidbaren „Rassenkrieges“ sowie Antisemitismus. Zugleich existierte keineswegs eine einheitliche Philosophie des NS.
Verschiedene Philosophen versuchen nun, diese Lücke zu füllen. Ihr Anspruch ist es, als „geistige Elite“ den „Führer“ zu führen. Unterschiedliche Strömungen bemühen sich darum, den NS aus ihrem philosophischen Hintergrund heraus zu rechtfertigen und ihm ihre spezifischen Traditionsbestände zuzuführen. Sie entwickeln Lesarten und Traditionsverständnisse, die etwa Platon oder Nietzsche oder die zentralen Autoren des deutschen Idealismus als Vorläufer des NS erscheinen lassen.
Zu diesem Verhalten mag nicht nur beigetragen haben, dass viele Professoren sich mit dem NS in einer gemeinsamen Opposition gegen die Republik und den Marxismus gesehen haben. Aus der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen versprach der NS die Lösung vieler Spaltungen und Konflikte: Die Revision von Versailles, die Überwindung von gesellschaftlichen Gegensätzen und politischen Machtkämpfen. Der NS inszenierte sich selbst als „Revolution“, als großen Wendepunkt der Nationalgeschichte und als „weltanschaulichen Entscheidungskampf“. Dies kam dem Selbstverständnis vieler Philosophen entgegen. Sie verstanden ihr eigenes Fach als privilegiertes Medium der nationalen Selbstbesinnung. Sie erhofften sich, wie schon 1914, die akademische Isolierung überwinden und zur nationalen Erneuerung beitragen zu können. Damit verschafften sie dem NS offizielle akademische Weihen.
Während der zwölf Jahre des „Dritten Reiches“ gelingt es jedoch keiner dieser Strömungen sich durchzusetzen. Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen war Hitler selbst an einer Entscheidung dieser Fragen nicht interessiert. Auch wird der erhobene Führungsanspruch der Philosophie zurückgewiesen. Diese Zurückweisung sollten einige, darunter Emge, nach 1945 zur Reaktion auf den eigenen „Widerstand“ umdeuten.
Zum anderen folgte die NS-Wissenschaftspolitik keinem einheitlichen Plan. Vielmehr war sie durch eine Konkurrenz verschiedener Instanzen geprägt, deren Kompetenzbereiche nie klar abgetrennt wurden. So agierten neben dem Reichserziehungsministerium das Amt Rosenberg, der „Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB), der „Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund (NSDDB) etc.
Die Konkurrenz verschiedener philosophischer Deutungsangebote erwies sich jedoch letztendlich als äußerst funktional. So konnte es gelingen, verschiedene Gruppen an das Herrschaftsgebilde des NS zu binden: die SA-begeisterten Studierenden ebenso wie altgediente Professoren der Philosophie. Insgesamt konnte so der NS zugleich als revolutionärer Bruch als auch als Fortsetzung der klassischen Tradition erscheinen.
Literatur
Wolfgang Bialas, Der Nationalsozialismus und die Intellektuellen. Die Situation der Philosophie, in: Wolfang Bialas und Manfred Gangl (Hrsg.), Intellektuelle im Nationalsozialismus. Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik. Band 4, Frankfurt am Main 2000.
George Leaman, Reflections on German Philosophy and National Socialism. What happened and why it matters to philosophy, in: Marion Heinz und Goran Gretić (Hrsg.) Philosophie und Zeitgeist im Nationalsozialismus, Würzburg 2006.
Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.), Philosophie im Nationalsozialismus, Hamburg 2009.
Bildnachweis
Deckblatt und Bild
- Titel: Wahlkundgebung der deutschen Wissenschaft in Leipzig am 11. November 1933
- Quelle: picture alliance/akg-images
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Hintergrundbild Anhang
- Titel: ehemaliger Thüringer Landtag, heute Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar
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