
Die Schemata, die Wundt für die Deutung des Weltkrieges entwickelt hatte, sind auch leitend für sein Verständnis der Novemberrevolution: Während im Krieg die deutsche Armee von Sieg zu Sieg geführt worden wäre, hätten im Landesinneren Parteilichkeit, Müßiggang und Gewinnsucht um sich gegriffen. Der Pflichtgedanke wäre erodiert und schließlich wäre eine Meuterei dem siegreichen Heer in den Rücken gefallen. Monarchie und Beamtentum hätten als Quelle der deutschen Tugend gestürzt werden sollen. Auch während der Revolution stünden der Zusammenhalt und die Gemeinschaft des „wahren Deutschlands“ gegen die Auflösung in eine atomisierte Gesellschaft. Es stünde für Treue und Opferbereitschaft gegen Egoismus; für echte Kultur gegen bloße Zivilisation.
So kann Wundt Revolution und Republik als Fortsetzung des Krieges im inneren beschreiben. Diese Variante der Dolchstoßlegende hat nicht nur die Funktion, den Mythos des „unbesiegten Heeres“ aufrecht zu erhalten. Sie überträgt auch die ideologische Deutung der außenpolitischen Frontstellungen des Weltkrieges auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik. In beiden Fällen steht „deutsche Sittlichkeit“ und Treue gegen Selbstsucht und Parteigeist. Wer mit den Freikorps Revolution und Republik bekämpft, setzt das Werk der Frontsoldaten fort.
„Dieser Staat ist undeutsch von der Wurzel bis zum Gipfel.“
Max Wundt 1922
Gegen das Prinzip der Gleichheit plädiert Wundt daher für eine ständische Gliederung der Gesellschaft. Offene Debatten gilt es durch weltanschauliche Geschlossenheit zu überwinden. Er schreibt: „Von dem Wahngedanken der sogenannten Schrift- und Redefreiheit, die den Geist unseres Volkes einem wilden Durcheinander widersprechender Einflüsse aussetzt, müssen wir uns allerdings frei machen.“ Die Überwindung innergesellschaftlicher Gegensätze erhofft er sich von einer starken Führungsperson an der Spitze des Staates: „Noch verhindern Leidenschaften und von den Parteien planmäßig gepflegte Verblendung unser Volk, seine Besten zu erkennen. Aber wenn uns das Wasser an die Kehle steigt, wird das deutsche Volk einsehen, daß es von Redensarten nicht leben kann und nach dem Retter schreien, zu dessen harter Hand es einzig Vertrauen hat. Dann wird es möglich sein, aus dem allgemeinen Vertrauen des Volkes ohne Ränke und Schliche den Ersten zu finden, dem wir als dem Besten das Schicksal unseres Staates überantworten können.“
Diese Ansichten versucht Wundt auch über die Universität hinaus zu verbreiten. So ist er Gründungsmitglied der Deutschen Philosophischen Gesellschaft, ab 1925 Vorsitzender der „Gesellschaft deutscher Staat“ und schreibt für verschiedene völkische Zeitschriften. Er gehört so zu den bekanntesten Autoren der völkischen Rechten während der Weimarer Republik.
Literatur
Max Wundt, Vom Geist unserer Zeit, München 1922.
Bildnachweis
Bild, Hintergrundbild Anhang und Deckblatt
- Titel: Max Wundt
- Autor: Charlotte Gröger
- Quelle: Universitätsarchiv Tübingen; https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/DOKUMENT/ubt_portraits/54511/Wundt+Max
- bearbeitet von SB