
In Wundts Schriften der späten 20er Jahre schlägt sich der wachsende Einfluss offen rassistischer und neuheidnischer Denkmuster wieder. Wundt geht es darum, die verschiedenen Strömungen der radikalen Rechten zusammenzuführen. Vor diesem Hintergrund schreibt er: „Die völkische Weltanschauung soll ja den Boden bereiten für ein gemeinsames, alle Glieder des deutschen Volkes einheitlich beseelendes Denken.“
„Alle Weltanschauungen, die aus deutschem Geiste gezeugt mit deutschem Wesen bestehen können, sollen ihr Recht erhalten.“
Max Wundt 1926
Dabei sieht Wundt eine Spaltung zwischen „deutschem Denken“ und „arischem Glauben“: Auf der einen Seite stehen Konzepte, die eine „deutsche Weltanschauung“ über die Tradition der „großen Dichter und Denker“ begründen wollen. Auf der anderen Seite stehen Strömungen, die einen Bruch mit der eigenen Geschichte und eine Rückbesinnung auf vorchristliche „Ursprünge“ und gemeinsame „rassische Wurzeln“ fordern.
Als Lösung des Dilemmas schlägt er vor, den „arischen Glauben“ als Regel der Auslegung der „deutschen Denker“ zu verstehen. „Aus dem Geiste des germanischen Mythos müssen wir uns die Gedanken unserer großen Denker deuten, aus dem Geiste des germanischen Mythos ihr Werk verstehen.“ Damit zielt er auf eine Annäherung der nationalkonservativen Opposition der intellektuellen Eliten an radikal völkische Strömungen.
Zudem übernimmt er zunehmend auch rassenideologische Überlegungen in seine Schriften. Den Unterschieden zwischen den in Deutschland verbreiteten „Rassen“ müsse eine entsprechende ständische Schichtung der Gesellschaft entsprechen. Aus der „ostischen Rasse“ müssten die Arbeiter, aus der „dinarischen“ die Soldaten und aus der „nordischen“ die „geistigen Führer“ rekrutiert werden. Sie sollen die Spitze des Staates bilden.
Auch hier wird der Versuch deutlich, ein Kompromissangebot zu formulieren. Die „Rassentheorien“ der radikal völkischen Kräfte werden zur entscheidenden Grundlage des Staatsverständnisses. Zugleich aber sollen die Positionen der traditionellen Eliten gewahrt bleiben.
Die Kontroverse Wundt-Rosenberg
Das von Wundt formulierte Kompromissangebot ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Zu diesem Zeitpunkt erhob die NSDAP schon einen Alleinvertretungsanspruch für sämtliche völkische Strömungen. Dementsprechend hatte Alfred Rosenberg in einer Rezension im „Völkischen Beobachter“ vom Dezember 1926 Wundt eine „parlamentarische Denkungsart“ vorgeworfen. Wundt wolle es allen recht machen. Insbesondere lasse er eine klare Kampfstellung vermissen und es bliebe unklar, was als fremd gelten solle. Im Gegensatz zu Wundt fordert Rosenberg den Bruch mit dem „sokratischen Denken“ und der bisherigen Form des Christentums.
In diesem Streit teilt Wundt die Beurteilungsprinzipien seines Kontrahenten. Er bestreitet nur, dass ihm auf der Grundlage dieser Prinzipien ein Vorwurf zu machen ist. Die Unterstellung einer parlamentarischen Denkungsart sei „eine Behauptung, die gegenüber dem wahren Inhalt meines Denkens, das eine schärfste Kampfansage gegen den undeutschen […] Geist darstellt, wohl keiner Widerlegung bedarf.“ Und natürlich sei damit klar benannt, was als fremd gelten muss: „In sämtlichen Abschnitten des Buches wird mit größter Entschiedenheit das echte deutsche dem jüdischen Denken gegenübergestellt, und ihre einzelnen Wesenszüge in allen Einzelheiten verfolgt.“
Damit weist diese Kontroverse auch voraus auf zukünftige Entwicklungen: Die Konkurrenz zwischen verschiedenen Begründungsversuchen für letztliche geteilte Prinzipien und Praktiken der NS-Politik.
Literatur
Quelle: Max Wundt, Deutsche Weltanschauung. Grundzüge völkischen Denkens, München 1926.
Wundt, Max, in: Völkischer Beobachter, 18.02.1927.
Bildnachweis
Deckblatt, Hintergrundbild Anhang und Bild
- Titel: Max Wundt
- Autor: Charlotte Gröger
- Quelle: Universitätsarchiv Tübingen; https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/DOKUMENT/ubt_portraits/54511/Wundt+Max
- bearbeitet von SB