
Anna Siemsen hatte etwa während des Weltkrieges pazifistische und explizit gegen Schelers Kriegsschriften und die „Ideen von 1914“ gerichtete Auffassungen vertreten. Zudem war sie Mitglied des „Bundes neues Vaterland“, der u.a. Antikriegskundgebungen organisierte. 1922 war sie der USPD, später der SPD beigetreten, mit der sie sich 1931 wegen der Unterstützung neuer Rüstungsausgaben durch die Partei überwerfen sollte. 1923 wird sie von Greil zur Honorarprofessorin in der neuen pädagogischen Abteilung berufen.

Zum 1. Oktober 1923 wird auch Mathilde Vaerting als Professorin für Erziehungswissenschaften berufen. Sie ist damit eine der ersten Professorinnen in Deutschland. Sie galt als eine wichtige Protagonistin der bürgerlichen Frauenbewegung und hatte in ihren erziehungswissenschaftlichen Schriften Ansichten entwickelt, die für einen großen Teil der Jenaer Professorenschaft schlicht skandalös waren: So hatte sie scheinbar natürliche Charaktereigenschaften und auch körperliche Merkmale von Männern und Frauen auf deren soziale Position zurückgeführt. Sie versucht so geschlechtsspezifische Merkmale auf Herrschaftsverhältnisse zurückzuführen. Wie Siemsen blieb Vaerting während ihrer Zeit in Jena von vielen ihrer Kollegen angefeindet. So hatte der Haeckel-Nachfolger Ludwig Plate u.a. 1929 die gegen sie gerichtete Schmähschrift „Feminismus unter dem Deckmantel der Wissenschaft“ veröffentlicht. Hier hatte er ihr mangelnde wissenschaftliche Eignung und unmoralische Ansichten vorgeworfen (etwa die, dass Frauen eher zur Polygamie neigen als Männer) und damit geschlossen, dass das Beispiel Vaertings zeige, dass die feministische Bewegung durch einen fanatischen Männerhass getrieben sei. Als Wilhelm Frick als erstes NSDAP-Mitglied in einem Ministeramt 1930 ein Disziplinarverfahren gegen Vaerting anstrebt und ihre Entlassung durchsetzen will, wird er sich auf diese Schrift Plates beziehen.
Literatur
Gisela Horn (Hrsg.), Entwurf und Wirklichkeit. Frauen in Jena 1900 bis 1933, Jena 2001.
Bildnachweis
Deckblatt, Hintergrundbild Anhang und Bild 1
- Titel: Mathilde Vaerting
- Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
- bearbeitet von SB
Bild
- Titel: Titelbild von „Wahrheit und Irrtum in der Geschlechterpsychologie