Ort: Wohnhaus Bruno Bauchs, Naumannstraße 7

In der Jenaer Zwischenkriegszeit war Bruno Bauch einer der wichtigsten Philosophen am philosophischen Seminar, der heute – ähnlich wie Rudolf Eucken – als Philosoph weitgehend in Vergessenheit geraten ist, wenn er auch mitunter noch als Kantianer, als Vertreter insbesondere der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus, rezipiert wird – ohne dass in solchen Bezugnahmen, gerade in den philosophischen Auseinandersetzungen mit Bruno Bauch, das Problematische seiner Philosophie auch nur erwähnt wird. Dieses Problematische wandert in die in die Schublade der weltanschaulichen, dem Zeitgeist geschuldeten bloßen Meinungen der Person, nicht aber des Philosophen Bruno Brauch. Dabei findet es allenfalls Erwähnung, dass es bei Bauch Momente antiegalitären, antidemokratischen Denken gibt. Aber dieses Denken wird dann nicht mehr als philosophisches Denken aufgefasst – und das ist ein bisschen zu einfach gedacht, nach dem Schema: entweder ist ein Denken, eine Äußerung… philosophisch oder politisch; philosophisch oder nazistisch…
Die Affäre in der Kant-Gesellschaft jedoch vermittelt ein komplizierteres, weniger eindeutiges, und vor allem auch: ein philosophisches Bild von Bauchs antiegalitären, völkischen und antisemitischen Denkens.
Bruno Bauch hat in Jena eine vielleicht nicht glänzende, aber eine solide Karriere absolviert; er lehrte von 1911 bis zu seinem Tod 1944, also über 30 Jahre, an der Salana, war zeitweilig Rektor (v. 1922–23; siehe die Station: Der Thüringer Hochschulkonflikt); ab 1904 „Chefredakteur“ der renommierten „Kant-Studien“; Zeitschrift der v. Hans Vaihinger in Halle begründeten Kant-Gesellschaft – bis er 1916 von seinem Redakteursposten zurücktrat. – Was war geschehen?
1916 erscheint „Vom Begriff der Nation. Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie, Aufsatz zum Vortrag, Staatswissenschaftliche Gesellschaft Berlin“ in einer eigenständigen Publikation, zunächst in Auszügen im „Panther“, der Zeitschrift des Alldeutschen Verbandes, und dann im Augustheft der „Kant-Studien“.
Aber der Reihe nach: Im „Panther“ erscheinen Auszüge des Aufsatzes, eingeleitet von einem „Offenen Brief“, gerichtet an Lenore Ripke-Kühn, Mitherausgeberin der Zeitschrift, die Bruno Bauch zuvor in die Nähe der Marburger Neukantianer gerückt und in diesem Zusammenhang kritisiert hatte, Bauch treibe mit seiner Forschung eine „Verkümmerung der Vielstimmigkeit der deutschen Philosophie“ voran.
In seinem Offenen Brief grenzt Bauch sich nun scharf von einer solchen Einschätzung ab, und sein Aufsatz „Vom Begriff der Nation“ gilt ihm als ein Beleg dafür, Philosophie gerade im Sinne einer national-völkischen, einer deutschen Philosophie zu betreiben und zu ihrer Vielstimmigkeit gerade durch eine scharfe Abgrenzung und Separierung nationaler Philosophien beizutragen. Eine sich auf sich selbst und das eigene Wesen besinnende Philosophie trägt, so verstanden, zur Entwicklung von Kultur und Geistesleben insgesamt bei, und damit rückt das „völkische Problem“ in das Zentrum philosophischen Fragens. Bauchs Ausführungen ist unschwer zu entnehmen, dass die deutsche Philosophie die überlegene ist, und dies zeige sich gerade daran, dass sie das „völkische Problem“ aufwerfe, anstatt alle Unterschiede in einem wesensfremden Universalismus und Kosmopolitismus zu verwischen.
Innerhalb von zwei Kriegsjahren hatte sich die Stimmung und auch die Deutungen des Krieges gewandelt: die gemeinschaftsstiftende Kraft des Krieges schien erlahmt, und die zuvor vornehmlich nach Außen vollzogenen Exklusionsmechanismen wurden nun auch nach Innen gewendet: man suchte gleichsam nach dem Feind in den eigenen Reihen, und glaubte diesen in ‚den’ Juden zu finden. So entwickelt Bruno Bauch seine Bestimmung der Nation in Abgrenzung insbesondere von „deutschem und jüdischen Geist“, wie Hans Vaihinger kritisch bemerkt hat. So schreibt er an Bruno Bauch, dieser habe „in diesem Vortrag die Juden zweimal vorübergehend erwähnt, aber was soll man sich denn sonst unter »Gastvölkern« vorstellen als Juden und höchstens noch Zigeuner. Die letzteren kommen nun kaum in Betracht, also kann man in Ihrem Vortrag überall statt des Ausdrucks »Gastvölker« einfach den Ausdruck »Juden« setzen.“ Auf der Ebene der Zeit- und der politischen Geschichte korrespondiert der philosophisch begründeten Ausgrenzung die Konfessionsstatistik, die im Herbst 1916 für das deutsche Heer vorgenommen wurde und unter dem Ausdruck „Judenzählung“ in die geschichtliche Erzählung eingegangen ist.
Während in der Affäre Hodler befunden wurden, ein Schweizer könne ein deutsch-nationales Erleben weder erfassen noch ausdrücken, entwickelt Bauch die Auffassung, der „völkische Fremdling“ können die „deutsche Kultur“ nicht verstehen. Wie bereits bemerkt, hatte Vaihinger – zwar nicht schon im ersten Kontakt mit dem Aufsatz, sondern erst nach dessen Veröffentlichung in den Kant-Studien und dem Offenen Brief im Panther – die unverhohlen anti-jüdische, ja antisemitische Ausrichtung des Textes erkannt, und als umso problematischer erschien dem Gründer und Leiter der Kant-Gesellschaft dieser Text, als die Marburger Neukantianer, v.a. Herrmann Cohen und Ernst Cassirer, sich darin als gemeint erkennen müssten – und zwar nicht (‚bloß’) als Personen, sondern gerade als Philosophen. In seinem Brief an Lenore Ripke-Kühn distanziert Bauch sich ausdrücklich von einem „blinden und grundlos öden Antisemitismus“ – Es liegt nicht fern nach Kenntnis der Ausführungen zum Begriff der Nation, des Offenen Briefes an die Schriftleitung des Panther wie seiner späteren Vorträge und Aufsätze, diese Stellungnahme zu verstehen nicht als Abgrenzung von antisemitischen Denken überhaupt, sondern als Plädoyer für dessen Grundlegung – für einen hellsichtigen und philosophisch begründeten Antisemitismus, und der über weite Strecke ohne die Ausdrücke „Juden“ oder „Rasse“ auskommt…