Hegemoniekonflikt und Universität

Die Jenaer Philosophie zwischen den Weltkriegen

Die Reichsgründungsfeiern der Universität

Ort: Fichte-Büste von Arthur Kampf, UHG, Fürs­ten­graben 1, 1. Etage, Westflügel

alter­nativ: Innenhof des UHG

Die Mehrzahl der Pro­fes­soren blieb auch während der 20er Jahre der Republik gegenüber distan­ziert. Die Wei­marer Ver­fassung ver­stehen sie als ein ihnen auf­ge­zwun­genes System. Das zeigt sich ins­be­sondere auch in den Gedenk­ver­an­stal­tungen und öffent­lichen Selbst­dar­stel­lungen der Universität.

So begeht die Uni­ver­sität jährlich am 18. Januar den Jah­restag der Reichs­gründung 1871. Eröffnet wird diese Tra­dition auch auf Betreiben des Phi­lo­sophen Bruno Bauchs mit der Übergabe der Fichte-Büste von Arthur Kampf an die Uni­ver­sität im Jahr 1920. 1921, zum 50. Jah­restag der Reichs­gründung, spricht Pro­fessor Car­tel­lieri. In seiner Rede fragt er: „Aber leben wir nicht wie unter rau­chenden Trümmern, eng zusam­men­ge­drängt, umlauert von arg­wöh­ni­schen Feinden? Dürfen wir in unserer unwür­digen, uner­träg­lichen Lage eine Feier begehen, die uns die ent­schwundene Herr­lichkeit von Kaiser und Reich lebendig vor Augen stellt?“ Jedoch: „In Nord und Süd, Ost und West, gibt es deutsche Brüder genug, die von uns erlöst sein wollen und nichts sehn­licher wün­schen, als in das Reich zurück­zu­kehren.“ Den Abschluss bildete ein Fackel­marsch der Kor­po­ra­tionen, der vom Bis­marckturm über den Forstweg in die Stadt führte. 1924 klingt die Grün­dungs­feier mit einer Parade der Reichs­wehr­truppen aus.

Am 21. Juni 1925 wird im Innenhof des Uni­ver­si­täts­haupt­ge­bäudes eine Gedenk­tafel für die Gefal­lenen des Welt­krieges ent­hüllt. Sie ist dort heute noch gegenüber dem Eingang zur Cafe­teria zu sehen. Die Gedenkrede hält der His­to­riker Stephan Stoy, der nur fünf Jahre zuvor den Kapp-Putsch aktiv unter­stützt hatte. Er erklärt, der Welt­krieg sei ein Deutschland auf­ge­zwun­gener Ver­tei­di­gungs­krieg gewesen. Für ein Wide­r­erstarken Deutsch­lands sei eine erneute Erhebung notwendig.

Umge­kehrt werden die Gedenktage der Republik wei­test­gehend igno­riert. Nachdem der 9. November, der Tag der Aus­rufung der Republik, 1921 in Thü­ringen zum Fei­ertag erklärt wird, begnügt sich die Uni­ver­si­täts­leitung mit fol­gendem Aushang: „Wir geben hier­durch bekannt, daß auf Anordnung der Regierung am Mittwoch, dem 9. November d.J., Vor­le­sungen und Übungen nicht statt­finden.“ Fei­er­lich­keiten wurden keine durch­ge­führt. Kurator Vollert lässt das Volks­bil­dungs­mi­nis­terium wissen, dass „mangels Fahnen in den neuen Reichs­farben“ das Uni­ver­si­täts­haupt­ge­bäude auch nicht beflaggt werden könne.

Bruno Bauch ist zweifach Haupt­redner der uni­ver­si­tären Reichs­grün­dungs­feiern: 1922 mit der Rede „Von der Sendung des deut­schen Geistes“ und 1926 mit der Rede „Der Geist von Potsdam und der Geist von Weimar“. 1922 beginnt er mit einer Klage über die ver­lorene deutsche Einheit und Größe und wendet sich dabei scharf gegen die Bestim­mungen des Ver­sailler Ver­trages und die bestehenden par­la­men­ta­ri­schen Ver­hält­nisse: „Unent­behr­liche Glieder sind durch Willkür und Gewalt aus dem deut­schen Staats­körper gerissen. Mil­lionen deut­scher Brüder schmachten unter Fremd­herr­schaft.“ Diese feh­lende Einheit drücke sich aber auch im Inneren aus: in der Spaltung in ver­schiedene Par­teien. Par­teien seien Formen der orga­ni­sierten Selbst­sucht, durch die der Sinn für die eigene Volks­ge­mein­schaft ver­loren gehe.

Dieser Verlust der inneren Einheit drückt sich für Bauch nun in einem lange zurück­lie­genden Ereignis aus: Den Rück­tritt Bis­marcks unter Kaiser Wilhelm II im Jahre 1890. Das sei man­gelnde Ehr­furcht vor der Größe des deut­schen Staats­lenkers gewesen, dem die Reichs­ei­nigung von 1871 zu ver­danken sei. Der Verlust der Ehr­furcht gehe auf „fremde“ Ein­flüsse zurück. Daraus folgert Bauch wie­derum, dass für ein Wie­der­an­knüpfen an die alte nationale Größe eine Besinnung auf das „Eigene“ erfor­derlich ist.

Diese Selbst­be­sinnung führt dann über die auch aus Euckens Kriegs­schriften bekannten Sta­tionen der Natur­er­for­schung von Cues und Koper­nikus, die deutsche Mystik und die Refor­mation bis auf den Höhe­punkt des deut­schen Idea­lismus. Alles in dieser Ent­wicklung hätte zu dem Gedanken gedrängt, dass die kon­krete Wirk­lichkeit aus der objek­tiven Ver­nunft zu ver­stehen sei. Das Sein ist demnach Werden zu immer neuen „Sinn­ge­stalten“. Zu diesem Prozess des Werdens hat der Mensch bei­zu­tragen. Seine Freiheit ist demnach nicht Willkür, sondern sie liegt in der Bindung an innere all­ge­meine Prin­zipien, in der Unter­stellung unter Ordnung und Gesetz. Nur ein solches Streben gibt der Per­sön­lichkeit ihren Wert. Wahrheit in der Wis­sen­schaft, das Gute in der Ethik und die Gerech­tigkeit im Recht sind die ewigen Werte, auf die sich das beständige Streben des Men­schen aus­richten soll. Die kon­krete Rea­li­sierung dieser Werte erfolgt aber im Rahmen der Nation: Hier erlangen diese Werte ihre jeweilige cha­rak­te­ris­tische Aus­prägung. Die künftige nationale Größe ist nach Bauch deshalb davon abhängig, dass Deutschland zurück­finde zu diesem Pflicht­ge­danken des Tuns um der Werte willen.

Die 1926 gehaltene Rede „Der Geist von Potsdam und der Geist von Weimar“ beginnt Bauch mit der Beob­achtung, die Deut­schen seien gegen­wärtig unbe­liebt. Unbe­liebt seien sie, weil sie nicht ver­standen würden. Dieses man­gelnde Ver­ständnis zeige sich auch darin, dass gerade im Ausland die mili­ta­ris­tische Tra­dition Preußens und die künst­le­risch-wis­sen­schaft­liche Tra­dition der Wei­marer Klassik gegen­ein­ander aus­ge­spielt würde.

Bauch will nun zeigen, dass diese Trennung auf einem Miss­ver­ständnis beruht. In Wahrheit bilden beide eine Einheit. Diese Einheit des Geistes von Weimar und Potsdam ver­sucht Bauch über den Begriff der „Tat“ auf­zu­weisen. Die „Tat“ ver­steht er unter Berufung auf Fichte und Kant als bestän­diges Streben nach Sitt­licher Voll­kom­menheit. Sie folgt der eigenen inneren Ver­pflichtung und ist zugleich in der Welt wirksam.

Dieses Ver­ständnis der Tat findet sich, so Bauch, in der mili­tä­ri­schen Tra­dition Preußens. So hatte sich auch der „Phi­losoph auf dem Thron“, Friedrich der Große, als erster Diener des Staates ver­standen. Aus diesem Pflicht­be­wusstsein seien seine Ver­wal­tungs­re­formen, sein Einsatz für die Ent­wicklung des Schul­wesens, die Unter­stützung für Handel und Gewerbe zu ver­stehen. Auch der Ausbau des Heeres gehöre hierher. Schließlich sei ohne Macht auch kein Recht. Ebenso sind die Hand­lungen seiner Nach­folger „an jenen höchsten ethi­schen Idealen ori­en­tiert, die wir seit Kant und seinen großen Nach­folgern im deut­schen Idea­lismus auch in der deut­schen Phi­lo­sophie Gestalt gewinnen sehen.“

Auch die Dichtung Goethes und Schillers sei aus diesem im deut­schen Idea­lismus ent­wi­ckelten Pflicht­ver­ständnis zu ver­stehen. Fausts Wort „Am Anfang war die Tat“ drückt sich „die ganze Fülle und Tiefe des Geistes der deut­schen Phi­lo­sophie von Leibniz und Kant bis Fichte und Hegel“ aus. Auch Schillers Worte „Des echten Mannes wahre Feier ist die Tat“ seien in diesem Sinne zu ver­stehen. Sowohl Goethes „Faust“ als auch Schillers „Über die ästhe­tische Erziehung des Men­schen“ schildern über­ein­stimmend die Ent­wick­lungs­schritte der sitt­lichen Läu­terung: vom sinn­lichen Trieb­leben, über die künst­le­rische Kon­tem­plation hin zum sozialen Wirken in der staat­lichen Gemeinschaft.

Hier beginnt Bauch nun, die poli­ti­schen Kon­se­quenzen seines Tat­ver­ständ­nisses zu ent­wi­ckeln. „Das Gesetz fordert nicht den all­ge­meinen Mas­senwahn ato­mis­ti­scher Gleichheit, der gerade das Ungesetz ist, sondern im Gegenteil indi­vi­duelle Dif­fe­ren­zierung und orga­nische Glie­derung.“ Unter „orga­ni­scher Glie­derung“ werden dabei klare Hier­ar­chien ver­standen. Sie ver­wirklich sich durch die Unter­ordnung unter einer Recht und Gesetz schüt­zenden fürst­lichen Regie­rungs­gewalt, unter der jeder „froh, ja stolz gehorchen“ kann. Die Gemein­schaft, die sich durch die Unter­ordnung aller unter das, was ihnen jeweils als „Pflicht“ vor­ge­schrieben ist, bildet, wird nun als staatlich begrenzte ver­standen. Ohne die Ver­wirk­li­chung in ein­zelnen Nationen bleibt „die Menschheit eine indif­fe­rente Abs­traktion“. Seinen „nach Rang­ordnung von Wert und Leistung geglie­derten Sinn“ kann das kon­krete geschicht­liche Leben der Menschheit nur in der Nation gewinnen.

So kann er seine Rede mit dem Bekenntnis beschließen, dass ein so ver­stan­denes Deutschtum auch eine neue Liebe zu Deutschland zur Folge haben wird.

„Dann wird diese Liebe auch ein großes Wollen erzeugen, […] das aus unserem Herzen reißen wird allen Skla­vensinn des Ver­zichtes auf gehei­ligtes Deut­sches Gut und Recht, damit der Deutsche nie ver­gesse, was des Deut­schen ist, sondern es mit der Liebe des Ver­stehens umfange als den Gegen­stand seiner hei­ligen Sehnsucht.“

Diese Aneignung des „Geistes von Weimar“ bleibt dabei höchst selektiv. Schillers „arm ist es, nur einer Nation zu dienen“ wird ebenso unter­schlagen, wie Goethes Abneigung gegen den Natio­na­lismus der Befrei­ungs­kriege, Kants Hoffnung auf einen ewigen Frieden und die Revo­lu­ti­ons­be­geis­terung des deut­schen Idea­lismus. So ver­steht es Bauch, beide Tra­di­tionen sowohl gegen die bestehende Republik und sozia­lis­tische Umge­stal­tungs­ver­suche als auch gegen die Bestim­mungen des Ver­sailler Ver­trages zu wenden.

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